Leopold Museum Wien | Glanz und Elend | Ausstellungsansicht

Leopold Museum Wien – Glanz und Elend

Das Leopold Museum zeigt erstmals in Österreich eine umfassende Ausstellung zur deutschen Neuen Sachlichkeit.

Die in 13 Themenbereiche gegliederte Ausstellung widmet sich einem essentiellen Kapitel künstlerischer Produktion im Deutschland der Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts.

Das Gesicht des Krieges – Wunden der Wirklichkeit

Den Ausgangspunkt der Schau bildet die Verarbeitung der Kriegserfahrungen durch Künstler wie Otto Dix, George Grosz, Karl Hubbuch oder Rudolf Schlichter. In ihren Werken prangerten sie jene an, welche aus der Notsituation während und nach dem Krieg finanzielle Vorteile zogen. Als unerbittliche Chronisten ihrer Zeit legten die neusachlichen Kunstschaffenden schonungslos den Finger auf die Wunden der Wirklichkeit, schilderten prekäre Lebenssituationen, das erschütternde Elend und die Gegensätze dieser Zeit. Der linke Flügel der Neusachlichen machte Justiz, Kirche, Unternehmer und Militär für die soziale Katastrophe mitverantwortlich und verstand sich als Stimme der Opfer.

Der Tanz auf dem Vulkan – zwischen Ekstase und Sarkasmus

In diesem Abschnitt beleuchtet die Ausstellung die „Goldenen Zwanziger“, Sinnbild für den Glanz jener Zeit. Nach der Überwindung der Inflation kam es Mitte der 1920er-Jahre zu einer kurzen Hochphase, die für eine wirtschaftliche und kulturelle Aufbruchsstimmung sorgte. Um den grauen Alltag zu vergessen, stürzten sich Viele in das Nachtleben. Die Künstler:innen schöpften aus dem breiten Motivspektrum der Vergnügungsstätten. Sozialkritisch und teils sarkastisch zeigen Künstler wie Max Beckmann, Otto Dix oder Rudolf Schlichter Nachtschwärmer:innen ebenso wie freizügige Revue-Tänzer:innen oder in der Prostitution tätige Sexarbeiter:innen in Varietés, Cabarets, Theatern und Cafés. Die Metapher „Tanz auf dem Vulkan“ beschreibt die ekstatische, ahnungslose Ausgelassenheit im Angesicht des nahenden Unheils, untermalt von den aus Amerika importierten neuen heißen Rhythmen des Foxtrott-, Charleston- oder Tango.

Lust, Begierde und die Schattenseiten des Lebens

Die Schau zeigt auch den unerbittlichen neusachlichen Blick auf die Außenseiter:innen der Gesellschaft. Die 1920er-Jahre waren nicht nur durch die negativen Seiten des Geschäfts mit der Liebe geprägt, sondern auch durch das Streben nach sexueller Befreiung, das  Aufbrechen von Tabus und das Eintreten für eine Entkriminalisierung gleichgeschlechtlicher Liebesbeziehungen, in der Ausstellung visualisiert durch Bildwerke von Christian Schad oder Karl Hubbuch. Soziales Elend und große Not ließen viele Menschen auf der Schattenseite des Lebens landen. Vertreter:innen des Verismus wie Rudolf Schlichter, Lea Grundig- Langer oder Käthe Kollwitz zeigen die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit existenzgefährdeter Menschen. Sie erklärten ihre Kunst zur Waffe im Klassenkampf und hofften durch ihr Schaffen revolutionäre Veränderungen erreichen zu können.

Die Emanzipierte Frau – neue Lebensentwürfe

Trotz ökonomischer Krisen herrschte in der Weimarer Republik zeitgleich eine Atmosphäre des Aufbruches, welche sich auch in der Emanzipation der Frau widerspiegelte, deren Erscheinungsbild sich radikal änderte. Bubikopf, kurze Kleider oder Hosenanzüge waren der letzte Schrei, man gab sich androgyn bis maskulin. Der neue ästhetische Anspruch wurde in Zeitschriften und Feuilletons propagiert. Künstler:innen – unter anderem Lotte Laserstein, Kate Diehn-Bitt oder Jeanne Mammen – sahen in der Darstellung der „Neuen Frau“ einen Weg den Frauentypus mitzugestalten und eine „Annäherung der Geschlechter“ herbeizuführen, als äußeres Zeichen im feministischen Kampf um gesellschaftliche Mitbestimmung. Der Mangel an männlichen Arbeitskräften nach dem Krieg führte, auch aus ökonomischer Notwendigkeit heraus, zu einer zunehmenden Teilhabe von Frauen an der Berufswelt.

Menschenbilder – Konvention und Kritik

Ungeachtet urbaner Experimentierfelder folgte der Großteil der Gesellschaft weiterhin konventionellen Lebensmodellen. Nach den verzerrenden Darstellungen des Expressionismus rückten nun realitätsnahe Bildnisse in den Vordergrund. Menschen aus unterschiedlichsten Berufsgruppen wurden für bildwürdig erklärt, Unternehmer:innen ebenso wie Angestellte und Arbeiter:innen. Die Nennung der Profession im Titel der Werke dient der Charakterisierung der Dargestellten, etwa einer Putzmacherin in einem Gemälde von Ernst Fritsch, eines von Wilhelm Schnarrenberger porträtierten Architekten oder eines Arztes bei Heinrich Maria Davringhausen.

Heroisierte Idylle und Schönheit der Einfachen Dinge

Die Vertreter:innen der klassizistisch-neuromantischen Richtung innerhalb der Neuen Sachlichkeit propagierten den Rückzug ins Private und Idyllische sowie eine Rückkehr zur Einfachheit. In altmeisterlicher Technik schufen sie idealisierte Lebenswelten, die sich an Formvorstellungen der Renaissance, des Klassizismus und der Nazarener orientierten. Georg Schrimpfs Mutter-Kind-Darstellungen ähneln Renaissance-Madonnen. Heinrich Maria Davringhausen widmete sich dem eigenen familiären Umfeld in Szenerien der Fürsorge und Geborgenheit. Dem Stillleben, in der Ausstellung etwa durch Beispiele von Alexander Kanoldt oder Josef Mangold vertreten, kommt in der Neuen Sachlichkeit ebenfalls eine herausragende Bedeutung zu, wobei die Beziehungslosigkeit zwischen den in den Raum gesetzten Dingen auf existenzielle Leere, Einsamkeit und Isolation des Menschen verweisen.

Mensch – Industrie – Technik

Die rasante Entwicklung im Bereich Industrie und Technik in den 1920er-Jahren war durch neue Kommunikationsformen und bedeutende Innovationen im Bereich des Verkehrs bestimmt. Die Industriebilder – von Rudolf Schlichter bis Gustav Wunderwald – zeigen eine gesichtslose Welt mit Fabriken, Elektrizitäts-, Ziegel- oder Kalkwerken. Der Blick in das Innere von Fabrikhallen wie bei Carl Grossberg zeugt von einer Faszination für die Maschinenwelt. In Anton Räderscheidts Selbstporträt in Industrielandschaft wird der Mensch selbst zur funktionierenden Maschine.

Parodie, Clownerie und Magische Bildwelten zwischen Idylle und Apokalypse

Die Künstler:innen fühlten sich besonders von unkonventionellen Orten wie Zirkus, Varieté oder Jahrmarkt angezogen. In diesen Parallelwelten der Artist:innen und Schausteller:innen geriet die bürgerliche Ordnung aus den Fugen: Felix Nussbaum spielt in seinem Selbstbildnis mit der (De-)Maskierung, Herbert Ploberger schlüpft selbst in das Clown kostüm. In den magischen Welten von Franz Radziwill ist das menschliche Wesen klein und unbedeutend, Naturelemente oder auch technische Erfindungen sind übermächtig und undurchschaubar. In seinen Gemälden klingt vordergründig eine Idylle an, doch bei genauerer Betrachtung kommt ein beklemmendes Gefühl der bevorstehenden Apokalypse auf. Das zerstörerische Potenzial der nationalsozialistischen Diktatur erkannte Radziwill erst spät. Seit 1933 Mitglied der NSDAP und bis 1941 vom Sieg Adolf Hitlers überzeugt, wurde er 1938 mit Ausstellungsverbot belegt und als „entartet“ diffamiert, ehe er 1939 an die Westfront abkommandiert wurde.

Der Anfang vom Ende und ein Opfer von Vielen

In Folge des Börsenkrachs von 1929 stiegen die Arbeitslosenzahlen ins Unermessliche und ab 1930 standen gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Kommunist:innen, Sozialist:innen und Nationalsozialist:innen auf der Tagesordnung. Die NSDAP erreichte bei der Reichstagswahl 1932 die meisten Stimmen, 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der Terror im großen Maßstab gegen Andersdenkende nahm seinen Anfang, die Weimarer Republik fand ihr Ende. Jene neusachlichen Maler:innen, die dem sozialkritischen Verismus nahestanden, wurden aus ihren Ämtern entlassen und emigrierten ins Ausland oder in die Provinz. 1937 wurde die Ausstellung Entartete Kunst in München eröffnet. Anhand von 650 Exponaten, die man 32 deutschen Museen entzogen hatte, verspottete man jene Kunst und Künstler:innen, welche die Nationalsozialist:innen als „undeutsch“ betrachteten. Ein Großteil der im Leopold Museum gezeigten Künstler:innen befand sich auf der Liste der „Entarteten“. Der jüdische Maler Felix Nussbaum erlitt ein Schicksal, das symbolisch für die vielen Leben steht, die von den Schergen des Nationalsozialismus systematisch ausgelöscht wurden. Jüdische Kunstschaffende wurden kategorisch aus Ausstellungen ausgeschlossen und in der Folge deportiert und ermordet. Wohlwissend, was die Rückkehr nach Deutschland von einem Auslandsaufenthalt 1934 für ihn bedeuten könnte, blieb Felix Nussbaum im Exil und versuchte in Belgien zu überleben. Ab den 1940er-Jahren zeigte er den unmenschlichen Schrecken des Holocaust in unverwechselbaren apokalyptischen Bildern wie dem „Orgelmann“ und protokollierte das Grauen der Zeit in eindrücklicher Weise. 1944 wurde Nussbaum gemeinsam mit seiner Frau Felka Platek in einem Brüsseler Versteck entdeckt. Nach ihrer Verhaftung folgte die Deportation nach Auschwitz-Birkenau, wo beide ermordet wurden.

Kurator: Hans-Peter Wipplinger

Begleitend zu Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog in deutscher und englischer Sprache erschienen, herausgegeben von Hans-Peter Wipplinger, mit Beiträgen von Daniela Gregori, Rainer Metzger, Aline Marion Steinwender, Hans-Peter Wipplinger und Thomas Zaunschirm sowie einem Überblick zur Kultur, Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik 1918–1933.

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Neue Sachlichkeit In Deutschland

bis 29. September.2024
1070 Wien, Museumsplatz 1
täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr • Juni, Juli und August täglich 10 bis 18 Uhr • an Feiertagen geöffnet!


Lea Grundig-Langer, Arbeitsloser, 1930 © Privatsammlung, Foto: Benjamin Hasenclever, München © Bildrecht, Wien 2024
Lotte Laserstein, Die Tennisspielerin, 1929 © Privatbesitz, Foto: Lotte-Laserstein-Archiv Krausse, Berlin © Bildrecht, Wien 2024

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